24./29. Oktober, 2023


Flächenbrände

Viel ist derzeit vom drohenden militärischen Flächenbrand die Rede, der ausbrechen könnte, wenn der Iran seinen Hilfstruppen im Libanon, der Hisbollah, den ganz großen Schießbefehl gibt. Der kleine Schießbefehl ist bereits erfolgt und hat immerhin zur Evakuierung der 20.000 Einwohner- Stadt Qiryat Schmona und mehreren Dörfern an der Grenze zum Libanon geführt. Im Gegensatz zu Hamas und Hisbollah opfert Israel seine Zivilbevölkerung nicht und benutzt sie schon gar nicht als Schutzschilde, wie es die „Free-Palestine-Aktivisten“ in Gaza tun und weltweit gutheißen. „Lives matter“ gilt in Israel als oberstes Gebot, „Palästina oder Tod“ hat sich die andere Seite auf die Fahnen geschrieben. Der Flächenbrand „ Solidarität mit Palästina“ lodert bereits weltweit und wird kräftig vom Antisemitismus geschürt. Nun hat sich auch Greta Thunberg solidarisiert und an die Spitze der Aufmerksamkeit gesetzt. Zwar hat sie ihre Stoffkrake bei der spektakulären Aktion verschwinden lassen, weil man die ja antisemitisch hätte deuten können, aber Plakate „Free Palestine“ und „Stand with Gaza“ durften schon sein. Klimaglobalpolitisch denken heißt in ihrem Fall wie bei vielen GesinnungsgenossInnen offenbar: Alles hängt mit allem zusammen und am Ende sind wie immer die Juden schuld (vgl. SZ vom 23.10.23 „Du, Greta?“). Kein Wort über die grauenhaften Massaker vom 7. Oktober, kein Wort über die mehr als 200 in den Untergrund Gazas verschleppten Geiseln, kein Wort über die Verbrechen der Hamas an der eigenen Zivilbevölkerung, wenn sie aus Hochhäusern, Moscheen und Schulen ihre todbringenden Raketen abfeuern, kein Wort über die Rakete des Islamischen Dschihad, die ein Krankenhaus in Gaza-Stadt getroffen hat und propagandistisch zur Mobilisierung gegen Israel in der arabischen, der islamischen, aber eben auch in der links-engagierten Welt geführt hat. Faktenfrei die Öffentlichkeit kapern- Trump und seine weißen Suprematen können noch was lernen.[1]


Aber wie funktioniert so was? Es gilt schon zu unterscheiden!


Das sind zum einen die Politprofis, die wissen, was sie tun. Der König von Jordanien sagt einen Besuch des amerikanischen Präsidenten ab, weil die Empörung der Massen ihn wegfegen könnte. Sisi, der Präsident der Ägypter, hat zwar einen Friedensvertrag mit Israel und lässt keine Flüchtlinge aus Gaza in sein Land, weil mit ihnen Terroristen einsickern könnten, aber bei der „Friedens-Konferenz“ am Wochenende in Kairo lässt er als Gastgeber keinen Zweifel daran, dass das Übel von Israel ausgeht( „militärische Eskalation durch Israel“ und „Kollektivbestrafung der Palästinenser“). Erdogan, der Möchtegern-Regionalleader-Nahost, will gegen den Konkurrenten Iran punkten und bezichtigt wider besseren Wissens Israel, „die grundlegendsten menschlichen Werte nicht zu befolgen“ und unschuldige Zivilisten in Krankenhäusern zu bombardieren. Gerne würde er den Vermittler wie im Russland-Ukraine-Krieg spielen, aber auch er glaubt, dem antisemitischen Mob auf den Straßen nach dem Mund reden zu müssen.


Womit wir bei der arabisch-islamistisch-antisemitischen Internationale wären. Gepuscht von Desinformation und Gerüchten wütet sie auf allen Ebenen der Öffentlichkeit, sei es in Neukölln oder in Fußballstadien wie bei Celtic Glasgow oder in den anti-sozialen Netzwerken (Mazraoui, Kicker bei Bayern München: „Die unterdrückten Brüder von Palästina sollten im Konflikt mit Israel den Sieg erringen“). Die Orchestrierung der Ereignisse durch die Hamas funktioniert wie schon so oft in der Vergangenheit. Der eigenen Brutalität folgt der Gegenschlag Israels- dem Leid der Zivilbevölkerung wird nachgeholfen durch eigene Raketen (oder denen des verbündeten Islamischen Dschihad)- Bilder und Zahlen werden manipuliert - Haniyeh, der empörte Leader im sicheren Qatar ruft am Freitag, wenn gläubige Muslime in die Moschee gehen, zum weltweiten „Tag des Zorns“ auf und Fernsehsender Al Jazeera sorgt dafür, dass die hintersten Ecken der Welt auf dem neuesten Stand sind. Arglose Medien im Westen wie BBC und ARD[2] fallen immer wieder darauf herein und übernehmen diese Darstellung. Zwar weiß man es schon Stunden später besser und versucht zu korrigieren und zu relativieren, aber was auf diese Weise einmal in der Welt ist, kann nicht mehr zurück genommen werden. Und natürlich wird in der arabisch - islamistischen Welt gar nichts zurück genommen. Was einmal Wahrheit war, bleibt auch Wahrheit. Israel führt Krieg gegen die armen Palästinenser, es war schon immer so und bleibt auch so.


Aber woher soll man denn wissen, dass es so läuft? 2008 gab es die sogenannte Operation „Gegossenes Blei“. Nach massivem Raketenbeschuss rückte Israel mit Panzern in den Gaza-Streifen ein und zwang die Hamas zu einem Waffenstillstand. Auch damals gab es viele zivile Opfer mit der entsprechenden weltweiten Empörung über den „Kindermörder Israel“. Die UN setzte eine Untersuchungskommission ein unter Leitung des ehemaligen südafrikanischen Verfassungsrichters Richard Goldstone. Nach Veröffentlichung des Berichts wurde Israel in einer UN-Resolution verurteilt und vielfacher Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung bezichtigt. 2011 bedauerte Goldstone seinen Bericht und die Resolution, weil inzwischen viele Sachverhalte aufgeklärt waren und Israel keine Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung vorzuwerfen waren. Die Resolution wurde nicht zurückgenommen, Israel stand in der öffentlichen Meinung weiterhin als Kriegsverbrecher da.[3]

Ich bin sicher, wenn die Ereignisse vom Oktober 2023 einmal aufgeklärt und „historisch“ sind, wird es ähnlich aussehen.


Aber warum funktioniert das so wie es funktioniert?


Wichtig wäre zu verstehen, wie tief der Antisemitismus im Islam verankert ist. Wir sind gewohnt Islam und Islamismus zu trennen - und das ist gut so. Insbesondere quantitativ, denn die große Mehrheit der Muslime, sowohl in Deutschland als auch weltweit, sind keine Islamisten. Politische Radikalisierung dient nicht dem Leben und ist daher auch für die Mehrheit der Muslime keine Option. Eine andere Frage ist es, inwiefern Antisemitismus konstitutiver Bestandteil des religiösen Bewusstseins im Islam ist. Dieselbe Frage stellt sich auch für das Christentum und soll in einem späteren Beitrag verhandelt werden.[4] Falsch ist meiner Meinung nach die Behauptung, der Antisemitismus im deutschen (und europäischen) Islam sei ein Re-Import des rassistischen europäischen Antisemitismus, der zum Holocaust geführt hat, und bis heute im gesellschaftlichen Bewusstsein hierzulande grassiert. Yehuda Bauer hat diesen Sachverhalt bereits 2018 präzise analysiert und dargestellt.[5] Durch meine Erfahrungen im Religionsunterricht, an dem immer mal wieder auch muslimische SchülerInnen teilgenommen haben, sehe ich sein Ergebnis bestätigt. Einer dieser Schüler in einer Gymnasialklasse beteiligte sich durchaus interessiert am Unterricht, vertrat nach meiner Erinnerung durchaus „liberale“ Ansichten, äußerte sich, von mir auf seine Sicht des Judentums angesprochen, etwa folgendermaßen: „ Unser Koran sagt, dass am Ende der Tage sich die Juden bei der großen Abrechnung hinter Bäumen verstecken werden. Aber die Bäume werden den Engeln mit den Schwertern verraten, wo sie stecken, und sie werden ihre gerechte Strafe bekommen, weil sie den Propheten ablehnen.“ [6] Wie gesagt dieser Mohammed war kein Radikaler - er besuchte eine christliche Privatschule -, aber er scheint mir repräsentativ für die Vorstellungswelt vieler Muslime zu sein. Nicht nur der Islamismus transportiert den Antisemitismus, sondern auch das „normale“ islamische Bewusstsein. Natürlich denken nicht alle Muslime so, aber ähnlich wie im Christentum die Judenfeindschaft bis in die Wurzeln reicht, so auch im Islam. Aufklärung kann helfen, diesen Wahn zu vertreiben - nachhaltig zum Erfolg geführt, hat sie nicht.


Anders zu erklären ist die oft klammheimliche, manchmal aber auch in Parolen versteckte Sympathie für den Antisemitismus in subkulturellen Milieus. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung [7] erklärt der Antisemitismusforscher Jakob Baier die Zusammenhänge anhand der Club-Szene. Während man sich in der Vergangenheit bei islamistischen Angriffen auf Clubs solidarisch zeigte, blieb es nun auffallend still nach dem Massaker auf das Supernova-Sukkot-Gathering-Festival im Kibbuz Re`im, bei dem auf bestialische Weise mehr als 260 Menschen getötet, gefoltert, vergewaltigt wurden. Viele Partys in den Clubs werden begleitet von Flyern wie: „ Wir tolerieren keine Form von Rassismus, Sexismus, Transfeindlichkeit, Homophobie!“ Oder der kulturelle Code heißt: „Wir verstehen uns als queerfeministisch, antifaschistisch, transpositiv, sexpositiv, antikolonialistisch, anti-kapitialistisch, Anti-Apartheid“. Da fehlt doch was! Tatsächlich wird Antisemitismus gelegentlich als eine Form von Rassismus „mit-verurteilt“, aber der blinde Fleck fällt grell ins Auge. „Juden zählen nicht!“ hat schon der britische Autor David Baddiel 2021 an zahlreichen Beispielen gezeigt [8]. Verbrechen an Juden zählen nicht, denn Juden gelten als weiß, mit großer Machtfülle ausgestattet und sind weltweit die Täter. Sie können also gar keine Opfer sein. Hinzu kommt das Geschwätz von „Israel als kolonialem Gebilde“, mit dem BDS weltweit gegen Israel mobil macht, und auch hierzulande vernünftige Argumentation ersetzt. Kunst und (pseudo-) linke Ideologie vermischen sich zu einem Antisemitismus der besonderen Art und bekämpfen die Werte, für die man (angeblich) selbst eintritt.


Noch schärfer analysiert Nathan Sznaider „die Lüge der Linken“ [9]. Er sieht die Ursache für mangelnde Empathie und beschränktem Urteilsvermögen in einem „universalistischem Trugschluss“, der in der Parole „durch Wohlstand zu Frieden“ ausdrückt. Gemeint ist damit die Idee, dass man Terrorismus vom Schlage der Hamas ökonomisch befrieden und Konflikte durch Kompromisse beilegen kann. Man hätte es seit 1945 wissen können, dass die alte Welt im Sinne einer transzendentalen Vernunft und ihrer Gewissheiten nicht mehr besteht. Genau das sei der tödliche Irrtum der Tanzenden an der Grenze zum Gazastreifen gewesen. Lustvolle Freiheit und tödlicher Nihilismus können nicht unmittelbar nebeneinander koexistieren. Das Massaker geschah, weil der Staat, in diesem Fall Netanjahus rechtsextreme Regierung, die Freiheit nicht schützen konnte. Und gerade deshalb sind die harten Aktionen Israels in Gaza jetzt legitim. Die Anwesenheit des Staates muss wieder hergestellt werden. Freies und jüdisches Leben muss in Israel, gerade an den Grenzen, wieder möglich sein. Die Alternative wäre Selbstaufgabe.


Die Parallele mit Russlands Krieg gegen die Ukraine liegt auf der Hand. Wenn es stimmt, dass die Ukraine auch die Freiheit der westlichen Demokratie verteidigt und daher die massiven Waffenlieferungen legitim sind, dann ist es auch die Zerschlagung der Hamas trotz der Opfer, die ein hartes Vorgehen mit sich bringen. Die UN-Resolution nach einem sofortigen Waffenstillstand untergräbt das Selbstverständnis der Vereinten Nationen. Staaten müssen ihre Bürger schützen können.So viel politisches Urteilsvermögen muss sein. Und noch einmal Sznaider: „ Dieser Kampf wird auch für diejenigen Deutschen geführt, die „Free Palestine from German Guilt“ skandieren, wohl der skandalöseste und fast schon nazistische Schlachtruf eines politischen Milieus, das den politischen Kompass verloren hat.... Auch darum geht es in diesem Krieg. Nicht nur um das Überleben der Israelis und Juden, sondern um das Besiegen des Dschihadismus. Damit auch die Gegner der Juden frei leben können.“ Ich dem kann nur hinzufügen: Insofern man mit extremer politischer Vernunft-Beschränkung überhaupt „frei“ leben kann.






[1] vgl. aber Berliner Zeitung vom 21.10.23: Deutsche Klimaschützer grenzen sich von Greta Thunberg ab. Greta Thunberg hatte sich solidarisch mit Palästina erklärt – aber nicht mit den Opfern der Hamas. Nun reagierte Fridays for Future Deutschland.

[2] Ansonsten finde ich die Berichterstattung der ARD gründlich und zuverlässig. Vgl. z.B. „Hart aber fair“ am Montag, 23.10.23 mit Guido Steinberg als Experten

[3] Goldstone nimmt Vorwürfe gegen Israel zurück, SZ 4. April 2011

[4] Vgl. aber die Predigt in der Epiphaniaskirche vom August 2022, hier: Blog-Aktuelles

[5] Y. Bauer, Der islamische Antisemitismus, LIT-Verlag Berlin 2018

[6] Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu al-Gharqad

[7] „DJs for palestine“? Normal, SZ 25.10.23, S. 11

[8] D. Baddiel, Und die Juden?, München 2021

[9] N. Sznaider, Zur Lüge der Linken, SZ vom 25.10.23, S.11