2. Jul, 2022
Hallo Sara, du bist nun einige Wochen in Deutschland, um das Stück „Die Vögel“ im Theater Trier aufzuführen. Wie ist es für Dich zwischen Israel und Deutschland zu pendeln? Ich glaube, Du vergleichst ganz gerne das Leben hier und dort, in Deutschland und Israel...
Sara:
Ich vergleiche, weil ich ursprünglich aus Deutschland komme, und ich kann diesen Gedanken nicht zur Seite schieben. Das Verhältnis zu Israel und Deutschland ist nicht das gleiche wie zu Portugal. In Deutschland bin ich geboren, aber ich lebe in Israel, weil meine Eltern entschieden haben, Juden zu werden und auch da zu wohnen. Ich habe meine Probleme mit dieser Entscheidung. Ich sehe die schönen Seiten von dieser verrückten Entscheidung, aber wenn ich nach Deutschland komme, mache ich mir viele Gedanken, wie es wohl sein wird. Ich lebe mit diesen beiden Mentalitäten. In Israel ist alles viel lockerer. “Kol be seder!“ sagt man und meint, alles wird gut. Das Leben ist nicht so vernünftig wie hier und so ordentlich. Ich bin aber in einer sehr deutschen Mentalität aufgewachsen. Meine Mutter und mein Vater sagten z.B. „Wenn du malst, musst du viele Stunden lernen, wie man mit Ölfarbe umgeht. Genauso ist es mit dem Kochen und dem Putzen- alles muss genau und ordentlich gemacht werden. Ich tanze praktisch zwischen diesen beiden Kulturen. Aber ich habe davon profitiert: ich kann Sachen sehr schnell machen und sehr gründlich! (lacht).
Das Stück, bei dem Du mitspielst und Regie führst, heißt „Die Vögel“. Es ist in hebräischer, arabischer, englischer und deutscher Sprache. Kannst Du etwas zu diesem Stück sagen? Was erhoffst Du Dir, wenn Du dieses Stück in Deutschland zur Aufführung bringst?
Das Stück inszeniere ich zusammen mit Manfred Langner. Es ist sehr erfolgreich in Deutschland. Ich verstehe nicht so ganz warum. Vielleicht liegt es an der Möglichkeit mit den vier Sprachen vier verschiedene Welten in das Stück rein zu schieben und damit machst du Theater auch zu einem Wie, zu einem Wie in Bezug auf die Beziehung zwischen Eltern und Kinder oder zwischen Kulturen. Das Theater kann verschiedene Sichtweisen zur Sprache zu bringen. In Deutschland wird viel synchronisiert, in Filmen und so. Aber ich glaube, es ist wichtig, den Leuten andere Sprachen in die Ohren zu bringen. Das Stück erfüllt in Deutschland mehrere Zwecke. In Israel wurde dieses Stück noch nie gespielt, und ich glaube, es wird auch nie gespielt werden. Irgendetwas passt nicht. In Israel sind die verschiedenen Welten nicht so ein großes Thema, in Deutschland viel mehr.
Wie sind die Reaktionen? Gibt es Kritiken in den Zeitungen?
Jedes Mal Standing Ovations, stehender Applaus. Die Leute haben anfangs Angst zu kommen, weil das Stück in vier Sprachen angekündigt ist. Aber das ist bei der Aufführung kein Problem. Der deutsche Text wird gut sichtbar angezeigt. Englisch, Hebräisch, Arabisch- das ist schon eine Schwelle. Aber am Ende stehen alle und applaudieren.
Deutsch lese ich nicht so gut, Kritiken lese ich also nicht so viele, manchmal lasse ich sie mir vorlesen. Es interessiert mich schon, ich will wissen, was die Leute denken, aber deswegen ändere ich meine Kunst nicht. Ich würde es sowieso so machen, auch wenn es niemand so mag. Gut, ich kann davon lernen und manches überdenken, wenn jemand etwas nicht verstanden hat. Allzu viele Gedanken über die Kritik mache ich mir nicht.
Du schreibst selbst auch Stücke?
Ja, insgesamt drei. Das erste ist aufgeführt worden in Stuttgart, Wien und Tel Aviv. Tel Aviv und Stuttgart war eine Koproduktion. Das zweite Stück ist sehr politisch und wurde in Israel bisher noch nicht aufgeführt. Deshalb ist es auch schwierig, es in Deutschland aufzuführen. Aber ich bin im Gespräch mit einem Intendanten, dem es gut gefällt und der es machen möchte. Aber es passt auch gut zu Israel.
Wenn Du politische Stücke machst, welche Zielsetzung hast Du da?
Ich lebe zwischen den Identitäten und kann, denke ich, auch die andere Seite gut verstehen. Die anderen sind keine Monster, sie sind Menschen, und wir müssen einen Dialog führen. Aber leider gibt es kaum Dialoge zwischen den verschiedenen Gruppen in Israel, auch nicht innerhalb des Judentums mit den verschiedenen religiösen Gruppierungen, aber auch mit den Palästinensern läuft es nicht. Das kocht sehr, es kocht und kocht und zieht sich und wird immer mehr und mehr- damit habe ich als Künstler schon Schwierigkeiten. 2012 hat mich in Stuttgart nach einer Aufführung jemand gefragt: „Ja, darf man denn in Israel so über Beschneidung und Judentum reden wie in Ihrem Stück?“ Ich habe geantwortet: „In Israel kann man über alles reden!“ Und es war auch so, aber jetzt ist das nicht mehr so. Es gibt keine Zensur von außen, aber Du weißt, wenn Du dies oder jenes sagst, verkaufst Du keine Tickets und bekommst kein Geld vom Staat. Ist gibt also Selbstzensur und es wird immer mehr Zensur daraus. Es gibt Themen, bei denen das Kulturministerium sagt: Nein, dafür bekommst du kein Geld! Also auch nur weil es um ein bestimmtes Thema geht. Staatliche Zuschüsse bedeuten aber etwa 20 % der Einnahmen, 80% bringt der Ticketverkauf. Es geht nicht nur darum, was ich sage, sondern dass ich überhaupt über ein bestimmtes Thema spreche. Und dann ist das für meine Arbeit sehr schwierig, wenn bestimmte Themen nicht vorkommen sollen.
Das klingt jetzt ziemlich pessimistisch. Hast Du Hoffnung...
Ich hab immer Hoffnung, weil die Dinge ändern sich nicht von heute auf morgen. Es gab immer Kriege, auch hier in Deutschland war jahrelang Krieg zwischen Protestanten und Katholiken und jetzt ist das nicht mehr so. Ich glaube, Sachen können sich ändern. Ich sehe nicht, dass der aktuelle Moment der einzige Moment ist. Meine Pflicht als Künstlerin ist einen Dialog führen, das ist auch meine Pflicht als Mensch. Wenn Leute anders denken als ich und ins Theater kommen, habe ich die Möglichkeit Fragen zu stellen. Ich fühle mich nicht intellektueller als sie, weil ich es nicht bin. Meine Pflicht, mein destiny, als Künstler ist es Fragen zu stellen. That`s it!
Bei Dir ist auch immer mal wieder Religion ein Thema. Möchtest Du eigene Erkenntnisse oder Erfahrungen vermitteln, wenn Du religiöse Themen ansprichst?
Ja, ich war immer von Leuten umgeben, die gläubig sind, bzw. die sagen, sie seien gläubig. Sie haben eine Kippa auf oder laufen mit einem Kreuz rum. Aber wenige von diesen Leuten, die ich kennengelernt habe, sind wirklich gläubig. Gläubig sein bedeutet nicht, dass wir alles verstehen können, sondern dass unser Erleben eine bestimmte Bedeutung hat. Ich habe keine leichten Erfahrungen in meinem Leben gemacht, aber ich bin gläubig seit ich mein erstes Kind bekommen habe. Ich habe sie gesehen und gesagt: Das ist schon zu viel. Sie ist nicht in dieser Minute geboren, sie ist schon 3000 Jahre alt. Sie war eine alte Seele, sie ist bis heute eine alte Seele. Und ich bin gläubig geworden, aber nicht im Sinne einer bestimmten Religion. Das wäre doof. Mit der Zeit bin ich mehr der Meinung von Leibowitz [1]: meine Vorfahren, mein physischer Körper gehört zu Deutschland und überwiegend zum Protestantismus, nicht nur- ich habe auch Katholiken und Altkatholiken in meiner Familie, aber ich fühle mich dieser Religion am nächsten. Mein physischer Körper kommt von da, aber mein Glaube ist eine Art Überreligion. Es geht nicht darum, welche Religion ich wähle. Erkenntnis ist etwas Großes, was ich letztlich nicht verstehen kann. Wir sind hier das Meeting, das Treffen zwischen einer Energie und der physischen Welt. Die Energie kann nicht existieren ohne die physische Welt, und die physische Welt kann nicht existieren ohne die Energie. Wir sind Teil von diesem Treffen. Die Energie lernt durch diese Treffen und deshalb ist meine Pflicht als Mensch, diesen Prozess zu machen. Also mein Schicksal akzeptieren, erleben und versuchen, Hoffnung zu geben.
Ich würde noch mal gerne auf die Politik zurück kommen. Seit Putins Einmarsch in die Ukraine ist die Welt ziemlich durcheinander geraten. Hat sich dadurch für Dich etwas verändert, seit dem 24.Februar?
Nein, für mich hat sich nichts geändert. Flüchtlinge gab es schon die ganze Zeit. Ok, jetzt ja die Europäer..., meine Familie in Deutschland sagt: Alles ist so schlimm! Aber vorher in Syrien und vorher in Bosnien und vorher...- war das weniger schlimm? Ich verstehe das nicht. Weil die Leute so aussehen wie wir und dieselben Kleider anziehen, sind wir plötzlich entsetzt. Menschen aus Afrika stranden schon lange mit diesen Gummischiffen im Mittelmeer und sterben- da gab es nicht diese Empörung. Also Menschen sind Menschen sind Menschen...Es ist schlimm, wenn Menschen ihr zuhause verlieren und keine Hoffnung haben. In dem Moment, in dem wir vergessen, dass wir in dieselbe Situation kommen könnten, und mit einem Koffer oder ohne Koffer und ohne Papiere dastehen, ist das falsch. Hilfe geben ist entscheidend, das hat nichts damit zu tun, ob Geflüchtete Afrikaner, Ukrainer oder Syrer sind. Ich denke, dass die europäische Welt in der Zeit des Kolonialismus genug von der Welt genommen hat, wir haben so viel aus Indien, aus Afrika, aus Asien, aus Amerika herausgeholt - es ist Zeit, jetzt etwas zurück zu bezahlen, wenn diese Leute nach Europa kommen.
Die Theatersaison ist bald zu Ende. Hast Du neue Pläne, kannst Du etwas darüber sagen, wie es für Dich weiter geht?
Ja, mein Leben ohne Wut weiter zu leben. Ich habe ein großes Geschenk bekommen. Bei mir ist am 1.1. ein Aneurysma festgestellt worden. Seither lebe ich ohne Wut und ich bin sehr froh darüber, dass ich meine Projekte und meine Kunst weiter führen kann. Ich habe mal gedacht, dass es unmöglich ist, Kunst zu machen, ohne auch sauer zu werden. Aber es ist möglich. Ja, ich habe viele Projekte vor, z.B. ein Feature, einen Langfilm, Theaterstücke, ich schreibe, bin in Kontakt mit Halle, ja es gibt viele verschiedene Projekte. Ich bin Schauspielerin, Theaterregisseurin, Autorin- es gibt genug zu tun (lacht).
Vielen Dank, Sara, für das Gespräch! Möchtest Du noch etwas hinzufügen?
Ja, es ist sehr schön, dass wir uns kennen gelernt haben. Wir haben uns durch einen Zufall kennengelernt, eigentlich über Deine Stadt. Du warst auf der Suche nach einem Text von einem Mann, der in Mannheim geboren ist. Ich konnte helfen und seither haben wir einige Gespräche geführt, das ist sehr schön. Ja, heute Abend in dem Stück geht es darum, eine Brücke zu bauen zwischen uns Menschen. Es zeigt, wie schwierig das ist, Brücken zwischen Kulturen zu bauen. Aber es ist möglich.
[1] Jeshajahu Leibowitz war einer der bedeutendsten Denker In Israel seit der Staatsgründung 1948.
Er war Herausgeber und Verfasser zahlreicher Artikel der „Enzcyclopedia Judaica“. Auf Deutsch liegt leider nur ein Buch vor: Gespräche über Gott und die Welt. Jeshajahu Leibowitz mit Michael Shashar, Insel-Taschenbuch 1994.