15. Feb, 2022

Amnesty International und die Apartheid

Und hier kommt die Auflösung: Es gibt Angriffe auf Moscheen und Synagogen in Berlin, es gibt Angriffe auf Moscheen in Gaza, aber es gibt keine Synagogen in Gaza. Warum? Als Israel 2005 den Gazastreifen räumte, machte die Hamas alles platt, was irgendwie wie eine israelische Hinterlassenschaft aussah, natürlich gab es auch keinen Halt vor Gotteshäusern, vermutlich waren sie zuerst dran. Es gibt keine Apartheid im Gazastreifen, er ist ethnisch gesäubert. Zwischen Israelis und Juden wird nicht unterschieden.

Das jüngste Beispiel wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre: Hamas hat nun auch eine Fernsehserie produziert, abgekupfert vom Erzfeind Israel. Der Grund ist der Riesenerfolg israelischer Fernsehserien, die auch bei arabischen Zuschauern sehr gut ankommen. Also macht man Qabdat al-Ahrar auf dem eigenen „al-Aksa- Fernsehkanal. Viel Action, mit der man den „Geist des Widerstands“ stärken will. Das Dumme ist nur, dass die Hamas keine Schauspieler hat, die authentisch Hebräisch sprechen können. In israelischen Serien ist das umgekehrt kein Problem, arabische Schauspieler wirken selbstverständlich in einem demokratischen Land mit einer diversen Bevölkerung mit. In Qabdat al-Ahrar müssen die bösen Zionisten aber von arabischen Schauspielern dargestellt werden. Böse Zionistinnen tragen sogar Kopftuch, weil sich arabische Schauspielerinnen im Film nur mit Kopfbedeckung zeigen dürfen. Und wer einen Israeli spielt, muss damit rechnen in der Öffentlichkeit beschimpft und bedroht zu werden, wenn er erkannt wird. Für Jawad Harouda, der einen bösen israelischen Geheimagenten darstellt, ist das ein Kompliment: „Je mehr mich die Leute auf der Straße hassen, um so glaubwürdiger spiele ich die Rolle!“ [1]

Und was hat das alles mit Amnesty International zu tun? Die Menschenrechtsorganisation hat am 1.Februar 2022 ihren aktuellen Bericht zur Lage in Israel vorgestellt. Darin wird das Land als „Apartheidstaat“ bezeichnet. [2] Die Reaktion in den Medien war nahezu einhellig: „Nicht seriös, sondern politischer Aktivismus“, titelte beispielsweise der Berliner Tagesspiegel. Ähnliche Einschätzungen teilen Die WELT, DER SPIEGEL, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und auch die TAZ. Was AI zumindest vorerst erreicht hat: Es wird kaum über die Situation der Palästinenser diskutiert, sondern über die Dummheit derer, die mit Schaum vor dem Mund alle Schuld an der misslichen Lage Israel allein zuschieben. Sascha Lobo, freier Autor und Blogger, nennt diesen Komplex „Woke Facette des Antisemitismus“ und bezieht den „Spiegel“ im Interview mit demselben in seine Kritik mit ein. [3] Seine Analyse ist intelligent kompliziert, aber bei diesem eigenartigen Sachverhalt wohl kaum billiger zu machen. Er definiert Wokeness nicht als Bewegung, sondern als eine Haltung, die ein Bewusstsein für Diskriminierung hat und sich beispielsweise für sensible Sprache engagiert (N-Wort). Das ist richtig und gut und darum sind in diesen Kreisen Ausdrücke wie „bis zur Vergasung“ oder „auf dem Transport verhungert“ längst tabuisiert. Auch „Juden sind x“ oder „Juden machen y“ geht selbstverständlich nicht. [4] Was aber geht ist: „Zionisten machen y und sind x“. Und so passiert unter der Hand, was oben schon im Blick auf Gaza beschrieben ist, Israelis sind Juden und die sind wie immer schon an allem schuld. Siehe Amnesty International: Israel ist der allein Schuldige im Nahostkonflikt. Lobos Schlussfolgerung ist für mich völlig plausibel: Deutscher Antizionismus ist Antisemitismus! Als einen Beleg nennt er den Umgang der deutschen Sektion von AI mit dem Israel-Bericht, der ja von der Londoner Zentrale erstellt wurde. Die deutsche Sektion kommentiert den Bericht nicht und will wohl auch keine Debatte darüber, weil das aus historischen Gründen nicht objektiv möglich ist. „Amnesty (deutsch) meint offenbar, die Leute seien hier wegen des Holocaust für eine zünftige, israelfeindliche Diskussion zu emotional“. [5]

Wenn ich Lobo richtig verstehe, müsste sich die deutsche Linke kollektiv auf die Couch des Psychoanalytikers begeben. Bewältigt ist gar nichts im Blick auf die Vergangenheit, weil sie nicht zu bewältigen ist. Die Spitze des alten Eisbergs Antisemitismus ragt immer mal wieder aus dem Wasser, wenn beispielsweise formuliert wird: „Es fing alles damit an, dass Israel zurückschlug“ oder „Israel droht mit Selbstverteidigung“. Das sind Beispiele aus dem deutschen Pressewesen, die sich allerdings nicht auf das linke Milieu beschränken.

Die Fähigkeit zur Logik ist offenbar beim Thema Israel nachhaltig beschädigt. Mit Kausalitäten hat man es nicht so. Die Täter-Opfer-Umkehr feiert fröhliche Urständ. Es darf von Apartheid gefaselt werden ohne Sinn und Verstand für Historie und Kontexte. Das Plakative und die Plakate schaffen Aufregung und mögen Genugtuung für die eigene Rechthaberei sein, zur Verbesserung der Lage tragen sie vermutlich nichts bei. [6] Ich habe oben den Gazastreifen als ethnisch gesäubert bezeichnet- auch eine begriffliche „Keule“. Ist aber berechtigt, da sie nicht nur für Gaza gilt, sondern für eine ganze Reihe Nachbarn Israels, die sich teilweise immer noch im Kriegszustand mit dem verhassten Zionistenstaat sehen. In den arabischen Ländern leben heute noch ca. 4000 Juden, im Jahr 1948 waren es ca. 800.000. Irak, Libyen, Sudan sind praktisch ganz „judenrein“, im Libanon, Syrien, Jemen, Algerien, Ägypten leben nicht mehr als 100 Juden. Nicht viel besser sieht es in den nichtarabischen muslimischen Staaten der weiteren Region aus, wo gegenüber ca. 250.000 im Jahr 1948 heute ca. 32.000 Juden leben. [7] Hintergrund dieser Entwicklung sind natürlich die fünf Kriege gegen Israel seit der Staatsgründung, deren erklärtes Ziel es war, das Land von der Landkarte wieder auszuradieren. Gelungen ist es nicht, an den jüdischen Minderheiten hielt man sich schadlos. Israel hingegen hat die Flüchtlinge aufgenommen. Als ich diesen Zusammenhang mal bei einem kleinen Israel-Vortrag erwähnt habe, kam der Kommentar: „Selber schuld!“, der für sich selbst spricht und hier unkommentiert bleibt.

Nicht nur geschichtliche Zusammenhänge sollte man ein bisschen kennen, um den Konflikt zu beurteilen, auch der Blick auf die realpolitische Lage der gesamten Region kann nicht schaden. Israel hat zwei „failed states“ als Nachbarn: Sowohl Syrien nach dem Bürgerkrieg (genau genommen dauert er noch an), als auch der Libanon liegen politisch und wirtschaftlich am Boden. Ägypten und Jordanien sind auch nicht gerade als lupenreine Demokratien zu bezeichnen. Im weiteren Umfeld sieht es im Irak, in Jemen und im Sudan nicht viel besser aus. Tatsächlich ist Israels Demokratie im Nahen Osten allein auf weiter Flur. Ein Viertel der israelischen Bevölkerung ist arabisch, besitzt selbstverständlich das Wahlrecht und ist mit einer Partei an der gegenwärtigen Regierungskoalition beteiligt. Apartheid sieht für mich anders aus.

Natürlich werden durch die Analyse von Kausalitäten die Probleme nicht gelöst. Die Lage der Palästinenser ist schlecht. Der sogenannte Friedensprozess ist tot, die gegenwärtige israelische Regierung fasst das heiße Eisen offiziell gar nicht erst an, um sich nicht selbst zu gefährden, der Siedlungsbau geht unvermindert weiter und schnürt die Palästinenser immer weiter ein. Aber „Lösungen“ müssen die genannten Kontexte im Blick haben. Historisch gesehen hat die arabische Politik völlig versagt, politisch auch. Ein verlässlicher Partner, der Menschenrechte und Demokratie garantiert, ist für mich nicht zu erkennen. Mögliche Partner wie die VAE sind weit weg und auch nicht gerade Musterstaaten. Aber was viel schlimmer ist: In der nächsten Umgebung Israels geben immer noch die ethnischen Säuberer den Ton an und verhindern jeglichen Fortschritt in Richtung Lösung der Probleme. Dass Israel nicht als „failed state“ enden will, kann ich verstehen. Mit Apartheid hat das nichts zu tun.

[1] Neues aus Pallywood, Jüdische Allgemeine Nr. 6/22, S.1

[4] vgl. Interview mit Jüdische Allgemeine, Nr. 6, 22, S. 8

[5] Das ganze Interview ist hier nachzulesen:

[6] Eine andere Einschätzung bietet Lea Frehse, Beirut: „Viel Lärm- aber mit einem Ziel“

 in ZEIT-ONLINE  am 1.2.2022

Im Iran gibt es immerhin noch eine jüdische Bevölkerung von 10.800, in der Türkei von 17.800. Einige Hintergründe zur Türkei werden in der beliebten Netflix-Serie „Der Club“ dargestellt.